Textile Innovation Lab

Im Gespräch mit Dr. Stefan Engelhard, Leiter Institut für Wissensmanagement und Wissenstransfer

Innovation, Geschäftsmodelle, Investitionen, Wissen, Know-how – nichts ist im Moment spannender als die Frage wo hin sich der textile Markt in Zukunft hinbewegt.
Unser Gesprächspartner Herr Dr. Engelhard konnte hierzu verständlicherweise keine Prognose abgeben, aber gewisse Tendenzen und auch Vorgehensweisen konnte er uns im Gespräch erläutern. Das Gespräch führte Ihsan Khalil am 20. Juni am Sitz des Instituts für Wissensmanagement und Wissenstransfer der IHK in Reutlingen.

 

Herr Dr. Engelhard, wie sind Sie zur IHK Reutlingen gekommen?

Nach dem Physik-Studium habe ich zunächst 6 Jahre als
SAP Anwendungsentwickler gearbeitet und habe dann zur IHK Reutlingen
gewechselt.

Wie sind Sie zum Thema Innovation allgemein und im Speziellen im
Textilbereich gekommen?

Schon während des Studiums und parallel zum Programmierer-Job habe ich
Veranstaltungen rund um Technologiethemen organisiert. Das Thema Technologie
und insbesondere die Umsetzung in hilfreiche Anwendungen fasziniert mich.
Der Textilsektor kam recht zufällig hinzu, weil unser
150-jähriges IHK-Jubiläum und das der ehemaligen Web-Schule Reutlingen, der
heutigen Hochschule, anstand. Beide Einrichtungen hatten die gleichen
Gründungsväter. Die Textilindustrie ist eine der ersten Industriebranchen,
die konsequent die manuelle Fertigung abgelöst hat. Das durfte ich für die
IHK ausarbeiten und habe mich dabei aber nicht auf die Vergangenheit
beschränkt, sondern mit Partnern auch die Studie „Perspektiven der
Textilregion Neckar-Alb“ erstellt.

Was begeistert Sie an diesen Themen?

Speziell bei der Textilindustrie sind es die enormen Möglichkeiten, die das Material Textil bietet, die mich begeistern. Aus mechanischen Gesichtspunkten gibt es nichts Besseres als Fasern, Fäden, Seile o.ä. entlang von Kraftlinien zu legen. Auch die Oberflächen und die 3D-Strukturen bieten enormes Potenzial.

Wie sieht konkret Ihr Arbeitsalltag aus?

Gemeinsam mit meinen Kollegen vom Institut für Wissensmanagement und
Wissenstransfer (IHK-IWW) versuchen wir, ausgehend vom Bedarf der
Unternehmen, Technologiekooperationen in Gang zu bringen. Das gelingt uns
oft ganz gut. Wichtig ist, willige Partner zu finden. Weniger unsere Ideen,
sondern Auffassungsgabe ist hier gefragt. Unser Schwerpunkt liegt dabei in
der Region Neckar-Alb und nicht so sehr in den einzelnen Branchen. Die
Zusammenarbeit in der Nachbarschaft über Branchengrenzen hinweg ist enorm
fruchtbar. Dazu muss man sich aber zunächst kennen. Das ist unser Job.

Wie arbeiten Sie mit den Firmen aus Ihrem Tätigkeitsgebiet zusammen?

Wir bieten passende Netzwerke und Veranstaltungen an. Beraten und besuchen
unsere Firmen aber auch individuell.

Wo sehen Sie die Trends im Bereich Technische Textilien, Smart Textilien?

Technische Textilien sind ein Wachstumsfeld. Die Smart Textiles sehe ich
eher bei den Nicht-Textilern als Zukunftstrend. Hier steht das eigentliche
Textile Know-how – die komplexen Fertigungsprozesse sowie die
Veredlungstechnologien – an zweiter Stelle. Das ist aber meine persönliche
Meinung. Viele sehen auch in den Smart Textiles einen breiten Trend für
die Textilindustrie.

Auf der Techtextil und der Texprocess 2017 in Frankfurt konnte man schon
sehr viele interessante Textilien bzw. Anwendungen sehen. Wie sehen Sie
persönlich die Stimmung am Markt?

Viele Innovationen, auch getrieben von Unternehmen unserer Region stehen
vor dem Durchbruch oder haben es bereits geschafft. So sind gewirkte
Gefäßprothesen erfolgreich am Markt, Projekte vom gestrickten Schuh „Made
in Germany“  verlaufen erfolgreich und das kombinierte
Spin-Strick-Technologieprojekt vom Unternehmen Mayer & Cie mit völlig
neuartigen textilen Flächen oder die Technologien rund um den Textilbeton
sind phänomenal. Die Unternehmen sind experimentierfreudig. Das ist gut.
Die Geschwindigkeit bei der Marktakzeptanz ist aber natürlich nicht
vergleichbar zum IT-Markt oder anderen jungen Branchen.

Liegen wir am Anfang der Entwicklung oder sind wir schon mittendrin im
Bereich Technische Textilien?

Beides. Wir sind heute schon von Technischen Textilien umgeben. In vielen
Bereichen, etwa beim textilen Bauen, stehen wir aber sicher erst am Anfang.

Sehen Sie überhaupt einen Bedarf an Produkten beim Verbraucher oder ist das
eher ein Wunschdenken bzw. Unternehmen getrieben, sich mit Tecnische Textilien auseinanderzusetzen?

Der Verbraucher braucht keine Technischen Textilien. Damit meine ich, dass
Technische Textilien kein Konsumprodukt sind und dies auch nicht sein
wollen. Ab und zu, etwa bei CFK also dem kohlenstofffaserverstärktem
Kunststoff, kann man Emotionen beim Verbraucher oder Bedarfe wecken.
Prinzipiell will der Verbraucher eine filigrane Konstruktion,
beispielsweise eine Brücke, die wenig Beton benötigt oder filigrane
Dachkonstruktionen. Dazu benötigt man Technische Textilien. Man kann auch
Enabling- oder Querschnitts-Technologie dazu sagen.

Die Schwäbische Alb hatte Mitte der 80er Jahre ziemlich zu kämpfen. Es
gab ein Firmensterben ohne Gleichen im Bereich Textilproduktion.  Wie sehen
Sie die Lage heute?

Die Textilindustrie ist bei uns auf der Alb ein sehr emotionales Thema.
Jeder schwelgt sofort in Erinnerung und kennt viele Geschichten dazu. Wir
bei der IHK blicken nach vorne und auch auf die heutige Lage. Die ist
schwäbisch gesagt „nicht schlecht“. Wir haben seit 2010 leicht wachsende
Mitarbeiterzahlen. Die Zulieferindustrie mit Chemie, Nadeln und Maschinen
sowie der Handel in Fabrikverkäufen und im Outlet-City Metzingen laufen
gut. Zukunftsthemen wie Leichtbau und E-Mobilität sprechen für die
Textilregion Neckar-Alb. Die Unternehmen verdienen recht ordentlich. Andere
Regionen dieser Welt schlafen aber nicht. Der Nachwuchs, besonders bei den
Fachkräften, aber auch bei Firmengründungen könnte besser sein. Insgesamt
bin ich optimistisch.

Was wird unternommen, um wettbewerbsfähig zu bleiben?

Wir müssen junge Menschen für Berufe mit Textilien begeistern und
Plattformen bieten, damit neue Unternehmen im Textilsektor entstehen.

Was tut die IHK Reutlingen?

Genau das. Zudem vernetzen wir Unternehmen und sorgen für den Austausch mit
der Wissenschaft.

Wo liegen hier die Schwerpunkte für die Kammer und wie kann sie die
Unternehmen unterstützen?

Die IHK-Ausbildungsberufe bilden auch im Textilbereich das Rückgrat der
Unternehmen. Zudem muss der Technologieaspekt wie auch der internationale
Austausch weiter vorangebracht werden. Diese drei Schwerpunkte würde ich
als vordringlich erachten. Technische Textilien sind im Vergleich zu
anderen Technologiebranchen oft weniger international geprägt. Bei der
Anzahl von Technologieprojekten konnte in der Region einiges bewegt werden,
sodass mehr Innovationen hervorgebracht wurden. Hier gilt es nicht
nachzulassen. Bei der Ausbildung müssen wir neue Wege gehen. Ich denke,
dass hier die Weiterbildung zukünftig eine bedeutsamere Rolle spielen wird.

Herr Dr. Engelhard, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Zur Person Dr. Stefan Engelhard


Dr. Engelhard ist gebürtiger Göppinger und hat Physik an der Universität in Bielefeld studiert. Als studierter Physiker begann er seine Karriere zunächst als SAP Anwendungsentwickler bevor er in die Welt des Wissenstransfers und Wissensmanagement eintauchte. Seit über 10 Jahren ist er Leiter des Instituts für Wissensmanagement und
Wissenstransfer und Bereichsleiter Innovation und Umwelt / Enterprise Europe.
Network  an der Industrie- und Handelskammer in Reutlingen.
Gesprächsführer war Ihsan Khalil, MBA, Dipl. Betriebswirt, Stuttgart

 

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